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Sozialpolitische Zielvorschläge

Fachkräfte für die soziale Infrastruktur gewinnen und binden

Sozialpolitischer Zielvorschlag

Als sozial­politisches Ziel wird vor­geschlagen, dass der Kreis Maß­nahmen zur Gewinnung und Bindung von Fach­kräften im sozialen Bereich ergreift, um die soziale Infra­struktur als Teil der Daseins­vorsorge auch in Zukunft zu erhalten.

Der Kreis nimmt die Aktivitäten zur Fachkräfte­gewinnung und -bindung in gemeinsamer Verant­wortung mit den Städten, kreis­angehörigen Gemeinden und Ämtern und Kooperations­partnern wahr.

Erwarteter Nutzen

Als Nutzen des sozial­politischen Ziels wird erwartet, dass für alle Einwohnenden auch in Zukunft ein ausreichendes Angebot sozialer Dienst­leistungen verfügbar ist. Soziale Infrastruktur als Standort­faktor trägt zur Attraktivität von Unternehmen und damit zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kreises bei. Fach­kräfte­sicherung begrenzt zu erwartende Qualitäts­verluste und Standard­absenkungen. Die Qualifikations­strukturen in der Aus- und Weiter­bildung sind an die veränderten Anforderungen der Arbeitswelt angepasst.

Im Gegenzug führt das Fehlen von Fachkräften zu Mehr­kosten, da diese durch kosten­intensiveres Personal von externen Dienst­leistern ersetzt werden müssen. Weiterhin ist mit deutlich höheren Folge­kosten zu rechnen, wenn aufgrund fehlender Fach­kräfte eigentlich beispiels­weise ambulante Leistungen dann in stationärer Form erbracht werden müssen. Abschließend führt dies zu Steuer­ausfällen, wenn z.B. Betreuungs­leistungen im Kreis nicht erbracht werden und Familien infolge­dessen abwandern.

Rahmenbedingungen zur Ableitung des Zielvorschlages

Demographische Entwicklung, Bevölkerungswachstum

Zunehmende Fachkräftelücken in allen Arbeitsbereichen

Viele Engpassberufe im sozialen Bereich

Öffentliche Einrichtungen und die Wirtschaft finden immer weniger Arbeitnehmende mit den benötigten Kompetenzen. Dies bedeutet, dass „Produktionspotenzial“ nicht zur Verfügung steht. Aufgrund der demografischen Entwicklung, insbesondere der Verrentung der Baby-Boomer wird sich diese Grundtendenz weiter verstärken. Im Kreis kommt trotz sinkender Geburtenrate noch ein bis ca. 2045 prognostiziertes Bevölkerungswachstum um 4% auf ca. 335.000 Menschen hinzu. Der demographische Effekt wird durch Zuwanderung nicht ausgeglichen.

Die Folgen des Fachkräftemangels sind vielfältig und weitreichend. In der Wirtschaft führen offen Stellen zu Produktionsausfällen und steigendem Arbeitsdruck auf die vorhandenen Mitarbeitenden. Bei sinkender Arbeitszufriedenheit steigt die Gefahr von Überlastung und ggf. weiteren Ausfällen. Auch die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von Unternehmen kann tangiert sein.

Aktuell fehlen laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung in Deutschland ca. 273.000 qualifizierte Fachkräfte in allen Arbeitsbereichen bei ca. 46 Mio. Erwerbstätigen. Gesamtgesellschaftlich entstehen dadurch Kosten in Höhe von 49 Mrd. Euro. In Schleswig-Holstein beträgt die Fachkräftelücke aktuell ca. 19.250 Personen bei 1,06 Mio. Beschäftigten. 2035 wird diese bei 180.000 Menschen liegen. Für den Kreis Pinneberg ergibt sich hieraus eine Lücke von ca. 1.750 Personen bei ca. 97.000 Beschäftigten. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten für den Kreis betragen ca. 103 Mio. Euro.

Besonders betroffene Wirtschaftszweige sind Unternehmen und Betriebe im Sozial- und Gesundheitswesen, im Bau, in der öffentlichen Verwaltung und im Einzelhandel. In der öffentlichen Verwaltung existiert eine große Bandbreite an Berufen, so dass sich der Fachkräftemangel vielfältig auswirkt, z.B. durch verzögerte Bearbeitung von Anträgen und Projekten oder auch verlangsamte Umsetzung von gesetzlichen Veränderungen und Digitalisierungsprojekten. In Kombination mit knapper werdenden Finanzmitteln sind daher Qualitätsverluste und Standardabsenkungen bei sozialen Angeboten zu erwarten. Ein geringes Angebotsspektrum der Daseinsvorsorge muss dann teilweise privat aufgefangen werden, z.B. durch Reduzierung von Arbeitszeiten für Pflege. Auch die Aufstockung von Arbeitszeiten ist z.B. wegen fehlender Betreuungsangebote nicht möglich. Arbeitsmarktpotenzial bieten auch Jugendliche ohne Abschluss und Ausbildung, die wiederum Unterstützung von pädagogischen Fachkräften benötigen.

Im Bereich der Sozialberufe klafft die größte Fachkräftelücke des deutschen Arbeitsmarkts. Bei den sog. Engpassberufen in Schleswig-Holstein stehen Berufe im Sozialbereich in allen drei Kategorien weit oben. Bei den „Fachkräften“ stehen Altenpfleger*innen auf Platz 2, Gesundheits- und Krankenpfleger*innen auf Platz 3. Bei den „Spezialist*innen“ stehen Berufe in der Kinderbetreuung auf Platz 1, Physio- und Ergotherapeut*innen auf Platz 2 und 3. Sozialarbeiter und Sozialpädagog*innen belegen bei den „Experten“ Platz 1.

Die Fachkräftestrategie des Bundes beinhaltet Arbeitskräftepotenziale im Inland zu nutzen, z.B. von Frauen und älteren Menschen, besonders nach dem Renteneintritt. Von den Baby-Boomern sind bisher mehr als 40 % der Jahrgänge 1954 bis 1957 vorzeitig in den Ruhestand übergegangen. Auch die Qualifikation Ungelernter und die stärkere Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund bei der Ausbildung und Integration sowie von Menschen mit Behinderung wird benannt. Die Fachkräfteinitiative Schleswig-Holstein setzt sich u.a. für mehr Zuwanderung aus Drittstaaten, ein Stipendienprogramm für Nachqualifikationen und attraktivere Arbeitsbedingungen ein. Neben Pflege wurden Pädagogische Berufe als Branchenschwerpunkte im Sozialbereich ergänzt.

Fachkräftemangel wird in vielen Fokusgruppen der Sozialplanung als Querschnittsthema und eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen thematisiert und auch die Personalstrategie des Kreises berücksichtigt den Aspekt der Personalgewinnung und -bindung als Teil ihres personalwirtschaftlichen Handelns.

Finanzwirtschaftliche Auswirkungen

Die finanzwirtschaftlichen Auswirkungen werden für drei besonders relevante Aspekte des Fachkräftemangels beispielhaft ermittelt:

Erfahrungswerte aus kommunalen Haushaltsplänen zeigen, dass Honorarkräfte oder externe Träger oft 10–20 % teurer sind als festangestelltes Personal.

Wenn z. B. in der Jugendhilfe 10 Fachkraftstellen unbesetzt bleiben, müssen teurere Übergangslösungen wie Honorarkräfte oder externe Träger einspringen.

  • Ø Mehrkosten pro Stelle/Jahr: 15.000 Euro
  • 10 × 15.000 Euro = 150.000Euro Mehrkosten/Jahr

Studien zur Eingliederungshilfe und Pflege belegen, dass verspätete Interventionen deutlich höhere Kosten verursachen. Unbesetzte Stellen in der Eingliederungshilfe oder Pflege führen zu verzögerten Hilfen – was später teurere Maßnahmen nötig macht (z. B. stationäre statt ambulante Betreuung).

  • Ø Mehrkosten durch verspätete Hilfe pro Fall: 5.000 Euro
  • Bei 100 betroffenen Fällen: 500.000Euro Mehrkosten/Jahr

Wenn Kitas oder Pflegeeinrichtungen wegen Personalmangel Gruppen schließen oder Öffnungszeiten verkürzen müssen, sinkt die Attraktivität der Region – was langfristig zu Wegzug und sinkenden Steuereinnahmen führen kann. Der kommunale Anteil an der Einkommensteuer liegt bei ca. 15 %. Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 50.000 € ergibt sich ein realistischer Einnahmeverlust von etwa 1.200–1.500 € pro Person und Jahr.

  • Geschätzter Steuerausfall durch Abwanderung von 50 Familien:
    50 × 1.200 Euro = 60.000Euro Mindereinnahmen/Jahr

Für die drei genannten Aspekte ergeben sind damit Mindereinnahmen bzw. Mehrkosten in Höhe von 710.000 Euro/Jahr

Kategorie

Betrag (Euro)

Mehrkosten durch Ersatzkräfte

150.000

Folgekosten verspäteter Hilfen

500.000

Steuerausfälle durch Abwanderung

60.000

Gesamtbelastung

710.000

Die tatsächlichen jährlichen finanzwirtschaftlichen Auswirkungen liegen weiter höher, da noch weitere Aspekte beim Fachkräftemangel zu berücksichtigen sind. Diese verursachen weitere Mehrkosten.

Mögliche Lösungsansätze

Fachkräftekonzept des Fachbereichs Familie, Teilhabe und Soziales

Um diesem Problem wirksam zu begegnen und den Mangel aktiv zu steuern, hat der Fachbereich Familie, Teilhabe und Soziales ein Fachkräftekonzept entwickelt, dessen Maßnahmen zeitlich gestaffelte Strategien verfolgen. Der Fokus liegt auf langfristiger Fachkräftesicherung, lebenslangem Lernen, dualer Ausbildung und beruflicher Weiterbildung. Eine wichtige Rolle spielen auch die Integration von Menschen mit Behinderungen, die Förderung einer attraktiven Arbeitswelt und die Gewinnung internationaler Fachkräfte. Ergänzt werden diese, wie z.B. im besonders betroffenen Bereich der Pflege, um arbeitsfeldspezifische Analysen.

Im Sinne eines dynamischen Konzepts werden auch in Zukunft weitere Impulse von Kooperationspartnern und der Politik aufgenommen. Die Ressourcenaufwände für einzelne Maßnahmen werden im Fachkräftekonzept benannt.

Ausbau Studienangebot

Um besonders Fachkräfte im Sozialbereich mit einem Studienabschluss im Kreis zu sichern, kann das aktuelle duale Studienangebot um weitere Plätze ergänzt werden. Der zusätzliche Ressourcenaufwand für einen Platz Duales Studium Soziale Arbeit beträgt 4.800 Euro/Jahr. Weitere Maßnahmen außerhalb der Verantwortung des Kreises, wie z.B. der Ausbau von Regelstudienplätzen in Schleswig-Holstein, sind entsprechend an die entscheidenden Institutionen zu adressieren.

Strategien zu Umgang mit der Mangelsituation

Ebenso essenziell ist flexibel kreative Lösungen als Antwort auf Mangelsituationen zu finden. So kann z.B. bei weiter fortschreitendem Geburtenrückgang mögliches freiwerdendes Personal in Kitas zukünftig auch anderweitig eingesetzt werden. Auch Kooperationsmodelle sind hier erfolgversprechend, wie z.B. der gemeinsame Betrieb einer Inobhutnahme-Einrichtung. Hierfür sind entsprechende Personalressourcen vorzuhalten, deren Kosten sich nach der Ausgestaltung der Strategie richten.

Zeitliche Umsetzbarkeit

Abhängig von den gewählten Lösungsansätzen kann das sozialpolitische Ziel innerhalb von ca. fünf Jahren erreicht werden.